So könnte man mit wenigen Worten den jüngsten Besuch von Prof. Dr. Patrick Rinke im Fachbereich Physik des Immanuel-Kant-Gymnasiums charakterisieren. Auf Einladung seines ehemaligen Physik-Leistungskurs-Lehrers Ralf Prüßmeier nutzt Patrick Rinke, Abiturient des Jahrgangs 1994, Anfang Februar die Gelegenheit einer mehrtägigen Konferenz in Hamburg, um für kurze Zeit sowohl heimische Verwandte und Freunde in Bad Oeynhausen zu besuchen als auch Schülerinnen und Schülern der Physik-Oberstufenkurse seiner alten Schule über den eigenen Werdegang und das Leben an einer Hochschule zu berichten.

Foto links: Nicole Bliesener, NW

Dabei erfahren die an Physik interessierten Schülerinnen und Schüler von Grund- und Leistungskursen der Qualifikationsphase innerhalb eines Schulvormittags viel Wissenswertes rund um ein naturwissenschaftliches Studium allgemein sowie das Berufsbild eines Physikers im Besonderen und gewinnen zudem einen kleinen Einblick in die Arbeit eines Professors. Denn Patrick Rinke ist seit drei Jahren Inhaber eines Lehrstuhls für Physik an der Aalto-Universität in Helsinki/Finnland und als Leiter einer Arbeitsgruppe für „Computational Electronic Structure Theory (CEST)“ verantwortlich für ein zukunftsweisendes Forschungsgebiet, in dem sich theoretische Physik, Informatik, Mathematik und Chemie begegnen, um z.B. neue Materialien mit wünschenswerten Eigenschaften zu entwickeln. Dabei kann es zum Beispiel ebenso um die Optimierung der Lichtausbeute von Leuchtdioden gehen wie um die Verbesserung des Wirkungsgrades von Solarzellen.

Die Schülerinnen und Schüler erfahren an diesem Morgen des 9. Februar 2017 in lockerer Atmosphäre, dass der gut 40jährige Forscher, der ganz unkonventionell daherkommt, dazu im Prinzip Ähnliches tut wie sie selbst, wenn sie im Physik-Unterricht auf der Jagd nach Erkenntnissen über Elektronen sind. Nur der Herr Professor jagt natürlich auf einem viel höheren Niveau! Der Wunsch zu Forschen und wissenschaftliche Probleme zu lösen oder gar Entdeckung zu machen, ist dem jungen Herrn Rinke zu Schulzeiten - wie er selbst es beschreibt - nicht zuletzt durch eine für ihn besonders eindrucksvolle Exkursion zum Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg erwachsen. Dort hat er Mitte der 90er Jahre erstmalig jenen internationalen und interdisziplinären Hauch von Wissenschaft verspürt, der ihn neben der grundsätzlichen Freude an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fragestellungen von Beginn an fasziniert und schließlich dazu bewogen hat, Physiker zu werden. Und von der Faszination seines Weges und aktuellen Schaffens transportiert er an diesem Morgen eine Menge zu den jungen Leuten, die ihm gebannt zuhören und ihn mit Fragen löchern dürfen.

Wie kann man ein Studium finanzieren? Wie kommt man an ein Stipendium? Wie kommt man nach einem Bachelor/Master in die Forschung? Was macht man als theoretischer Physiker im Allgemeinen, was macht Prof. Rinke insbesondere? Was treibt einen jungen Wissenschaftler ausgerechnet nach Helsinki? Gab es bei den zu treffenden Entscheidungen zu Studien- und Berufsweg auch Zweifel?Solche und ähnliche Fragen der naturwissenschaftlich interessierten Schülerinnen und Schüler beantwortet Prof. Rinke mit großer Geduld und erkennbarer Begeisterung für sein berufliches Leben als Forscher und Dozent. Der unkonventionelle Professor berichtet zunächst über einen nicht ganz gewöhnlichen und ebenso spannenden Werdegang.

In Kurzform: Abitur 1994, danach Zivildienst bei den Johannitern, Erkenntnis: Medizin soll es nicht sein! Entscheidung für das, was ihm in der Schule am meisten Freude bereitet hat, also Beginn eines Physik-Studiums in Heidelberg, Fortsetzung in York in Nordengland, dort Abschluss mit anschließender Promotion (2003); erste berufliche Stelle am Fritz-Haber-Institut (FHI) der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem; von 2007 bis 2009 ein dreijähriger Post-Doc-Aufenthalt an der Universität von Santa Barbara, Kalifornien, dann wieder FHI Berlin. Und 2014 schließlich die Übernahme eines Lehrstuhls für Physik an der jungen finnischen Aalto-Universität in Helsinki.Ja, das ist schon eine nicht ganz gewöhnliche Karriere, zu der ihn nicht zuletzt eine nach eigenem Bekunden gute schulische Ausbildung in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, die er natürlich auch als Leistungskurse am IKG belegt hatte, befähigt hat; heute beschäftigt er sich in seinem Forschungsgebiet genau mit dieser Symbiose aus Physik, Mathematik und Informatik, die ihm auch in der Schule immer Freude bereitet hat.

Da geht es um quantenphysikalische Fragestellungen rund um hybride Materialien, das sind Verbindungen zwischen anorganischen Materialien, meistens Kristallen (wie etwa Silizium) und organischen Materialien mit dem Ziel, neue Strukturen zu entwickeln, z.B. für optoelektronische Anwendungen wie Leuchtdioden (LEDs), die zugleich günstig wie auch effektiver als bekannte Lösungen sind. Oder flexible Displays, wie sie schon als Prototypen existieren. Dazu ist wesentlich die Kenntnis der Oberflächenstruktur an der Schnittstelle der beiden Materialien, insbesondere die Frage nach der Anordnung der organischen Moleküle auf der anorganischen Fläche, die wiederum das Verhalten der Elektronen entscheidend beeinflusst, denn deren Rekombination führt schließlich zur Entstehung von Photonen, also Licht.

Und zur Vorhersage der Elektronenverteilung ist die Lösung einer mathematischen Gleichung notwendig, die der Physiker Erwin Schrödinger vor fast 100 Jahren aufgestellt hat und die man als Schüler im Leistungskurs Physik ebenfalls kennenlernt. Das Problem, welches die Physiker in diesem Zusammenhang haben, ist im wahrsten Sinne umfänglich, denn aufgrund der Vielzahl der beteiligten atomaren Systeme ist eine Vielzahl miteinander gekoppelter (Differential-)Gleichungen zu lösen, und das geht nicht mit Papier und Bleistift (oder analytisch, wie man sagt). Hier kommen numerische Verfahren ins Spiel, die nicht zuletzt aufgrund der großen Teilchenzahl zeitintensive Berechnungen auf den schnellsten Supercomputern unseres Planeten erfordern und dabei zumindest näherungsweise Elektronendichteverteilungen zu ermitteln gestatten, die wiederum Einsichten über Energiefragen an der Kontaktstelle zwischen den beiden Materialien und damit Prognosen über die Lichtentstehung erlauben.

Und mit diesen Einsichten können die theoretischen Physiker den Ingenieuren Anregungen geben, wie z.B. Dotierungen bei Halbleitermaterialien zu gestalten sind, um möglichst effektive Prozesse zu erhalten. Prof. Rinkes Ausführungen machen deutlich, welch erhebendes Gefühl mit der Lösung eines Problems verbunden ist, wenn die Empfindung „das habe ich jetzt als erster erdacht, vermutlich hat das nie jemand vor mir erkannt“ kaum zu übertreffen ist. Seine Forschungs- und Dozententätigkeit führt ihn mittlerweile rund um den Globus, wenn er von beispielhaften Dienstreisen berichtet: natürlich in seine „alten Heimaten“ Deutschland, England, USA, in attraktive italienische Städte, aber auch an exotischere Orte wie Isfahan oder Peking. „Da bleibt neben dem beruflichen Programm, egal ob Tagungs- oder Vortragsreise, auch immer ein wenig Zeit für Touristisches, so dass man Kontakt zu Land und Leuten haben kann.“

Das ist zudem eine Kernbotschaft der Ausführungen an diesem naturwissenschaftlich geprägten Morgen im IKG: die Notwendigkeit der internationalen Vernetzung, sowohl innerhalb der universitären Forschung als auch bereits in der Anlage des gewählten Studiums. „Wenn ihr könnt, geht zumindest für eine gewisse Zeit ins Ausland“, so sein Credo, „um durch Kontakte mit anderen Sprachen und Kulturen – auch durch die einen umgebenden Kommilitonen aus anderen Ländern – den Blick zu erweitern, damit der nicht nur deutsch bleibt. Man sieht nach einer solchen Zeit im Ausland vieles mit anderen Augen.“Auch das „Umgeben-Sein“ mit interessanten und intelligenten Menschen, die sich im Umfeld von Hochschule tummeln und zu konstruktiven Gesprächen, möglicherweise auch neuen Einsichten beitragen, gepaart mit der vielfach erkennbaren Interdisziplinarität der universitären Arbeit ist für den jungen Professor ein bedeutender Mosaik-Stein im Puzzle seiner beruflichen Zufriedenheit.

Herausragendes Beispiel für eine solche Person ist mit Prof. Shuji Nakamura der Physik-Nobelpreisträger des Jahres 2014, dem 22 Jahre (!) zuvor zusammen mit 2 japanischen Kollegen die damals äußerst schwierige Konstruktion einer blauen Leuchtdiode gelang, ohne die wir heute weder Blue-Ray-Player noch weiße Hochleistungs-LEDs besäßen und auch keine weißen LED-Glühbirnen im Baumarkt kaufen könnten; und besagter Herr Nakamura lehrt an der Universität von Santa Barbara, einer Hochschule, berühmt für ihre Partys, aber ebenso bekannt für ihre ausgesprochen angesehene Abteilung für Festkörperphysik, jener Hochschule, an der unser „Gastprofessor“ drei Jahre seines Lebens verbrachte! Ein Hauch von großer Wissenschaft weht in diesen Momenten ehrfürchtiger Berichterstattung durch die Flure des IKG. Man ahnt: die Elfenbeintürme der Wissenschaft sind keine kleinen Gebäude, das Erklimmen mag anstrengend sein, aber der Blick vom Turm herab ist atemberaubend!

Der Professor hat Werbung für Physik gemacht! Herzlichen Dank!

RinkeJP gross

 Patrick Rinke
während seiner Antrittsvorlesung in Finnland

 

Link zum Artikel der NW:

http://www.nw.de/lokal/kreis_minden_luebbecke/bad_oeynhausen/bad_oeynhausen/21683410_Professor-macht-Physik-schmackhaft.html

 

Hier sehen Sie 20minütige Videosequenz der Antrittsvorlesung
unseres ehemaligen Schülers.